Loader
 

Marktkommentar

Oktober 2023

Europa hatte im Vorjahr bei den Energiepreisen Glück im Unglück. Nach einem Jahr von extremen Gas- und Strompreisen am Spotmarkt, ist die im Sommer 2022 erwartete Preisexplosion im Jahr 2023 nicht eingetreten. Seit dem Jahresbeginn sind die Preise bei Strom und Gas kontinuierlich gefallen und sie bewegen sich nun auf dem zwei bis dreifachen der Preise vor dem Kriegsbeginn.

Der nun zu Ende gehende Sommer hat die Energieknappheit in Europa nicht verstärkt. Im Gegenteil, die Erneuerbaren haben so viel Strom produziert, dass Gas in vielen Stunden eingespeichert werden konnte und nicht verbraucht wurde. Mitte September wurde der maximale Füllstand der europäischen Speicher des Vorjahres übertroffen. Daher besteht weiterhin Abwärtsdruck auf die Preise und sogar die wesentliche Reduktion der norwegischen Liefermengen hilft nicht, die Gas-Spotpreise wieder stark ansteigen zu lassen.

Die Rahmenbedingungen sind weiterhin wirtschaftlich ungünstig. Es gibt eine schwache Dynamik in den OECD-Ländern und vor allem in Europa ist der Energieverbrauch weiter unter Druck. Teile der Energieintensiven Industrie sind verschwunden oder haben die Kapazitäten reduziert. Der Gesamtverbrauch an Strom und Gas ist im Jahresvergleich um ca. 5% geringer.

Der Krieg in der der Ukraine und die veränderten Gasströme bleiben bestehen. Es ist zu befürchten, dass der Krieg noch mindestens bis zu den US-Wahlen im Jahr 2024 heiß bleibt. Auch danach gibt es womöglich keine Klarheit und das energiearme Europa bleibt Spielball der LNG- und Ölmärkte.

Die Sparbemühungen bei Energie bleiben so lange aufrecht, wie der Preis als „teuer“ empfunden wird und solange das Schreckgespenst der Versorgungssicherheit herumgeistert.

Der Gaspreis wird in den nächsten Monaten trotz aller Entspannungssignale dominant für die Preisbildung am Strommarkt und für die Kohlenachfrage in Europa bleiben. Kohlekraftwerke liefen in Europa im Winter auf Volllast. Nun ist der Kernenergieausstieg Deutschlands zu Beginn des Q2 passiert. Er führt in Kombination mit der geringen Verfügbarkeit der französischen AKW langfristig zu zusätzlicher Knappheit am Strommarkt, wenn die Erneuerbaren nicht produzieren. Gas bleibt somit das Zünglein an der Waage für die Strompreisbildung und ist derzeit günstiger als die Verstromung von Kohle.

Der Wettbewerbsnachteil Europas bei den Energiepreisen gegenüber den USA und auch einigen asiatischen Volkswirtschaften hat sich kontinuierlich verkleinert. Er könnte sich rasch wieder vergrößern, wenn ein technisches oder wetterbedingtes Extremereignis eintritt. Der kommende Winter wird aus unserer heutigen Sicht wahrscheinlich wieder ohne Energielenkung auskommen.

Trotz aller kurzfristig ungünstigen Einflüsse erwarten wir die Preise für Gas und Strom in fernerer Zukunft wesentlich günstiger (Kaufkraft- und Inflationsbereinigt), als es die manche Prognosen heute zeigen. Die aktuell hohen Preise beeinflussen das Angebot und die Erneuerbaren Energien sind die kostengünstigste und politisch stabilste Form der Stromproduktion. Gleichzeitig fördert der CO2-Preis bei aktuell ca. 85 EUR/t (Future Cal 24) die Abkehr von der Kohle und vom Gas.

Für das Jahr 2023 erwarten wir allerdings nur noch günstigere Preise auf dem Niveau von unter 90 EUR/MWh für Strom oder von unter 35 EUR/MWh für Gas, wenn der Krieg keine extreme Wendung nimmt.

So bleiben die europäischen Märkte Spielball zwischen Wetter, Sanktionen, der Energiekostenausgleichsregelungen und den Einschränkungen durch den Krieg. Und obwohl die Ukraine (physisch) und EU-Europa (finanziell) die Rechnung dieses Konflikts bezahlen, sind keine einfachen Handlungsoptionen für Europa sichtbar. Die Last der ukrainischen Bevölkerung erscheint unmenschlich und es ist zum Verzweifeln, dass Europa keine guten Karten bei der Bekämpfung des von Putin verursachten Unrechts hat.

Europa bleibt extrem stark abhängig von Nicht-EU-Lieferungen: Mehr als 90% vom Gas kommt aus Nicht-EU-Staaten, und wenn wir Norwegen als sehr stark befreundet sehen, bleibt noch immer mehr als 60% Importabhängigkeit übrig. Und Importabhängigkeit bedeutet Preisabhängigkeit vom Weltmarkt LNG. Der kennt keine Freunde, sondern Angebot und Nachfrage. Solange wir ohne Alternativen vom globalen LNG abhängig bleiben, haben wir nur über die Erneuerbaren und den CO2-Handel Einfluss auf die Preisbildung von Strom und Gas in Europa. Um uns bei der Dekarbonisierung der Energiewirtschaft nicht gleichzeitig kurzfristig ins preisliche OUT zu stellen, braucht’s dann wieder den CBAM…

 

Ihr Felix Diwok, CEO

Für das Team der Inercomp

LuxundLumen_WEB_003